1898
Neueste Versuche mit Registrir Drachen
Bericht von Hugo Nikel / Wien

Der Fesselflieger, gemeinhin Drache genannt, hat in den letzten Jahren unstreitig eine wissenschaftliche Bedeutung erlangt. Ernste Männer haben sich die Aufgabe gestellt, die räthselhaften Erscheinungen, welche beim Steigen und Stehen der Drachen auftreten, zu erforschen und rationell zu ergründen. Wenn auch noch Vielen der praktische Nutzen solcher Bestrebungen nicht klar ist, wir Flugtechniker sind einmüthig in der Anschauung, dass der Fesselflieger nicht zu unterschätzen ist, da er nächst dem Ballon das einzige Mittel ist, welches vorläufig bei der Erforschung der höheren Luftschichten in Betracht gezogen wird. Doch auch für viele andere Zwecke, z.B. Hochnehmen grösserer Lasten, sogar Personen, für Signal- und Beleuchtungszwecke, zu photographischen und photogrammetrischen Aufnahmen, zum Messen der atmosphärischen Elektrizität, neuerdings für die drahtlose Telegraphie u.s.f, wird der Drache bereits verwendet und gewinnt daher auch täglich mehr an Bedeutung.

Viele Flugtechniker beschäftigen sich indessen auch mit Drachen hauptsächlich deshalb, weil sie die Überzeugung gewonnen haben, dass es kein besseres und zugleich billigeres Mittel gibt, mit welchem man die geheimnisvollen Erscheinungen der bewegten Luft auch nur annähernd in einer so gründlichen, instinktiven und zugleich fesselnden Weise kennen lernen würde. Sich aber mit dem Luftocean und seinen mechanischen Wirkungen vollkommen vertraut zu machen, gehört zu den unerlässlichen Bedingungen eines jeden Flugtechnikers, der sein Fach ernst nehmen will. Darum bildet der Bau von Fesselfliegern und das Experimentiren mit denselben so quasi eine Vorschule für den praktischen Flugtechniker, und wehe dem, der ohne die Kenntniss von den Launen des Windes einen freifliegenden Apparat mit Drachenflächen besteigt!

Wie ein Fussgänger, der beim Sturm und Regen mit überspanntem Kopfe, in Gedanken versunken eine Strassenecke passirend, entsetzt den Fragmenten seines abgetakelten Schirmes nachrennt, wenn ihn jählings ein Windstoss erfasst, ebenso wird ein Flugapparat von unkundiger Hand geleitet schonungslos zerschmettert werden.

Diese Erscheinungen der Luftwellen die unter gewissen Umständen bedingte Aufhebung und umgekehrt Vergrösserung der Wirkung, dann die mannigfachsten Wirbelbildungen, welche in das Gebiet der Interferenz-Erscheinungen fallen, bilden eines der wichtigsten Kapitel der Luftdynamik und können bei Drachenversuchen, namentlich im bergigen Terrain, häufig beobachtet werden. Dieser Gesichtspunkt war auch für mich bei der Wahl meines Experimentirfeldes massgebend, und ich habe, trotzdem mir der grosse Platz nächst dem Arsenal, wo die Herren Militär-Luftschiffer ihre Auffahrten machen, vom k.u.k. Reichs-Kriegsministerium zur Vornahme meiner Versuche bewilligt war, dennoch das unebene Terrain nächst Breitensee okkupirt.

Das, was bisher viele andere abschreckte, Drachenversuche im gebirgigen Gelände vorzunehmen, wählte ich mit Vorbedacht aus, und trotzdem mir manche Mühen und Misserfolge nicht erspart blieben, ist es mir schliesslich doch gelungen, die Drachen nicht allein sicher hoch zu bringen, sondern auch - und dies ist das Schwierigste gewesen - dieselben anstandslos zu landen. In ebenem Gelände wo Alles glatt abläuft, hätte ich auch noch lange nicht jene nützlichen Sicherheitsmittel zur Anwendung gebracht, welche das Manöveriren mit Drachen nunmehr, so erleichtern und wären mir dieselben vielleicht noch lange verborgen geblieben. Ich erlaube mir nun den letzten meiner Drachen, die von mir mit Type C bezeichnete Konstruktion, genauer zu beschreiben, und werde dann eine Reihe von Versuchen und die dabei gemachten Wahrnehmungen mittheilen.

Der Drache Type C ist genau nach dem schon bekannten System der Type A konstruirt und hat folgende Ausmasse: 8,2m Länge, 4,5m Breite, 16qm Tragfläche und 15kg Gewicht. Das ist aus bestem Tannenholz hergestellt. Es besteht aus oblonggekrümmten überkantigen Stangen gebildete Achse, welche mittelst biconvexprofilirten Traversen und darin eingelassenen Stützen eine gitterartige Stahlverspannung trägt, wodurch sie steif und torsionsfest erhalten wird. Auf dieser Achse sind nebst dem Horizontal- und Vertikalsteuer mittelst Schrauben sechs Armträger befestigt, welche beiderseits je drei parabolisch nach abwärts gekrürmmte Rippen tragen, auf deren Enden die mit Ledertaschen versehenen Flächenüberzüge aus mit Wachs imprägnirtem Marzelin aufgesteckt werden können. Das Horizontalsteuer ist 10° zur Drachenebene geneigt. Auf der Spitze ist noch ein kleines dreieckiges Segel angebracht. Mittelst aushängbarer Stahldrähte sind die Flächen und beide Steuer so mit der Achse fixirt dass eine Verschiebung in der Drachenebene vermieden wird.

Der Drache ist leicht zerlegbar und kann wieder in 10 Minuten (von 3 Mann) montirt werden. Eines der subtilsten Theile bildet die sogenannte Waage, richtiger das Gehänge. Dasselbe ist dreitheilig und so eingerichtet, dass sich der hintere Theil durch eine eingeschaltete Federwaage bei Windüberdruck verlängert, wodurch der Neigungswinkel verkleinert wird. Das Hochlassen erfolgte ursprünglich durch einfaches Hochheben der Spitze bis zu ca. 45° gegen den Wind. Bei dem grösseren Gewicht, der Länge der Achse und der Steifheit der Tragflächen war dies nur schwer möglich und konnten namentlich Seitenstösse des Windes gar nicht parirt werden, was bei der Unstetigkeit der Windrichtung wiederholt ein Kentern und in den meisten Fällen eine Beschädigung des Drachens nach sich zog. Aus diesem Grunde habe ich auf der Spitze der Achse eine kleine Aluminiumfahne so befestigt, dass sich deren Stange stets vertikal stellen konnte, wodurch es ermöglicht war, in jedem Augenblick die Windrichtung wahrzunehmen und die Korrektion des Standes zu bewirken. Um weiters das unheilvolle Kentern zu verhindern, wurden nahe der Spitze zwei ca. 10m lange Sturmleinen befestigt und zum Hochheben der Spitze eine 5m lange, mit einer Gabel versehene Bambusstange verwendet. Am Steuerhals ist überdies eine 20m lange Landungsleine angebracht. 
Das Hochlassen erfolgt nunmehr in folgender Weise. Nachdem vom Haspel - dessen nähere Erklärung in dieser Zeitschrift später gegeben wird - ein genügendes Stück Stahldraht in der Windrichtung abgewickelt wurde, kann das Drahtende mittelst Karabiner an dem Gehänge befestigt werden. Sodann wird daran der Meteorograph angehängt und mittelst der Stange die Spitze gehoben. Der Steuermann hält das Vertikalsteuer am Boden fest und je ein Mann ergreifen die Sturmleinen. Auf das Kommando: - Einrichten! - visirt der Steuermann über die Windfahne und lässt so lange den Drachen rechts oder links bewegen, bis die Drachenachse und der Stahldraht mit dem Haspel in der Richtung der Windfahne stellen, worauf er -Fertig!- ruft. - Darauf lässt man die Sturmleinen so lange nach, bis der Drache freischwebt. Ist der Wind günstig wird -Los!- kommandirt, wobei die Sturmleinen gleichzeitig freigelassen werden, und der Drache steigt ruhig in die Höhe.

Webmaster  Impressum/Disclaimer  Datenschutzerklärung