Versuche mit neuen Registrir-Drachen
Versuche mit Registrir-Drachen von H. Nikel
III. Aer. Mitt. Nr. 1, 1899, S. 1-20., Nr. 105

Von Hugo L. Nikel k.u.k. technischer Assistent in Wien

Die überaus günstigen Erfolge, welche mit hohen Drachenaufstiegen zwecks Erforschung der höheren Luftschichten namentlich in Amerika, in letzterer Zeit aber auch in Deutschland erzielt wurden, haben mich veranlasst, die verschiedenen bisher bekannten Drachensysteme eingehend zu studiren, um schliesslich jene Konstruktion, deren Prinzip Herr Kress bei seinen Drachenfliegern anwendet, einer gründlichen Erprobung zu unterziehen. Indem ich im Nachfolgenden meinen neukonstruirten Drachen vorführe, sage ich nicht noch an dieser Stelle meinem geschätzten Freunde, dem Herrn Ingenieur Kress, für seine werthvollen Rathschläge zum Baue dieses Drachens verbindlichstens Dank.

Der neue Drache, von welchem anbei mehrere zwei Momentbilder zu sehen sind, ist nach dem bewährten Prinzip der Flächentheilung konstruirt und zum Unterschiede beinahe aller bis jetzt gebauten Drachen - mit Ausnahme des Kress'schen - mit einem Doppelsteuer, d.h. einem horizontalen und einem vertikalen, versehen.

Seine Dimension sind: Länge 8m, Breite 4m; die Gesamtfläche beträgt 12,2m. Derselbe besteht aus 2 mässig in der Drachenebene gebogenen Fichtenstäben und beiderseits darauf befestigten senkrechten Querstäben, welche untereinander und mit den beiden Stäben durch ein brückensrtiges Gitterwerk an Stahldraht verbunden, die Achse bilden und derselben eine grosse Steifheit verleihen. Auf dieser Achse sind in bestimmten Abständen 6 Paar flügelförmige, aus Shirting und Weidenruthen hergestellte Drachenflächen angebracht, welche wieder untereinander, mit der Achse und den beiden Steuern fest verbunden sind. Trotz einer ganz bedeutenden Festigkeit beträgt das Gewicht dieses Drachens bloss 7,5kg.

Die ersten Versuche wurden am 19.August 1898 auf den nächst von Krzeszowice (in Galizien) östlich gelegenen Hügel Vinica vorgenommen. Es wehte ein mässiger Nordost, dessen Geschwindigkeit zwischen 3-5m schwankte.

Schon beim Transport man die Kraft des ganz bedeutende Hebekraft des Drachens wahrnehmen. Oben angelangt, wurde der horizontal bewegliche und mit einer Bandbremse versehenen Haspel an einem in die Erde getriebenen Pfahl befestigt und von der auf 100kg Zug erprobten Leine in der Windrichtung ca. 100m abgewickelt. Nachdem der Drache angebunden und die Leine straff gespannt war, wurde er mit der Spitze von der Erde langsam gehoben. Schon bei einem Neigungswinkel von 45° war der Drache erhob er sich rauschend in die Höhe und blieb der Drache bei steiler Leine vollkommen ruhig stehen. Nun konnte die Leine langsam nachgelassen werden und stieg der Drache auf ihre ganze Länge nun 340m. Ueberraschend war der erste Aufstieg hauptsächlich deshalb, weil die sogenannte Waage sich selbst unter den günstigsten Winkel einstellte, was ich einfach auf die Art erziehlte, dass der Knoten der rückwärtigen Waagenschnur nicht festgeknüpft, sondern verschiebbar befestigt wurde. Nebenbei sei noch erwähnt, dass eine Ausbalancirung des Drachens überhaupt nicht vorgenommen wurde und die Ruhe und Stabilität nur der genau symetrischen Bauart zu verdanken war.

Zur Sicherheit des Landens habe ich am Steuerhals eine 10m lange, frei herabhängende Leine angebracht, welche sich vortrefflich bewährte, da der Drache durch flaches Niederlegen vor Beschädigungen bewahrt blieb. Es ist auch bei den vielen Versuchen nicht ein einziger Unfall beim Landen vorgekommen und ist seine Sicherheit beim Aufstieg, seine Ruhe und Stabilität hoch oben, sowie die Gefahrlosigkeit beim Landen eine ausserordentliche. Einmal bloss brach eine Drachenfläche durch Unachtsamkeit, indem der Drache, ohne mit Steinen beschwert worden zu sein, frei am Felde liegen gelassen wurde. Ein plötzlicher Windstoss erhob und schleuderte ihn jählings gegen einen Steinhaufen, was ihm so sehr übelbekam. Da indessen ein Drachen-Verbandszeug vorsichtshalber mitgenommen wurde, konnte diese Fraktur auch sofort behoben werden und in einigen Minuten schwang sich der Drache wieder lustig in die Höhe.

Die am 20. und 21.August fortgesetzten Versuche haben mir die grosse Brauchbarkeit dieses Drachens mannigfaltig bewiesen. Mehrfach vorgenommene Ballastproben ergaben bei einem Wind von ca. 5m eine Tragfähigkeit von 8-10kg, wobei die Leine von 45kg nicht mitgerechnet erscheint. Leider fehlten mir die nöthigen Instrumente zum Erzielen genauerer Daten und müssen daher diese Experimente als einfache Vorversuche mit einem neuen Drachen bezeichnet werden. Immerhin bieten sie den Drachen-Konstrukteuren so manche neue Anhaltspunkte zur vortheilhaften Lösung des "Universaldrachen Problems ", womit der langersehnte Wunsch der Herren Meteorologen endlich in Erfüllung gehen könnte.

Ein gewisses Interesse dürften noch die Versuche mit dem sogenannten Wetterschiessen erwecken, welches auch mit diesem Drachen erprobt wurde. Der Vorgang hierbei war folgender: Der Drache wurde durch fortschreitendes Herunterdrücken der Leine so nahe zur Erde gebracht, dass die Landungsschnur ergriffen werden konnte. Durch Befestigung von adjustirten Dynamitpatronen hintereinander an dieselbe würde nach Anbrennen der abgezweigten Zündschnüre der Drache wieder hochgelassen. Erst in voller Höhe explodirten die Patronen nacheinander unter scharfen Detonationen, wobei jeder Knall von mehrere Sekunden andauerndem, donnerähnlichen Rollen begleitet war.

Zum Schlusse sei noch erwähnt, dass der Drache auch zum persönlichen Gleitflug verwendet worden ist, welcher durch Absprung von ca. 8 m hohen Terrainstufen - nach genommenem Anlauf eingeleitet selbst bei Windstille Strecken bis 30 m anstandslos durchzufliegen ermöglichte.

Durch die günstigen Ergebnisse ermuthigt, gehe ich eben daran, einen so grossen Drachen nach diesem System zu konstruiren, dass derselbe schon bei einem Wind von 8-10m das Hochnehmen einer Person ermöglicht und so dem Fesselballon ernstliche Konkurrenz zu bereiten anfangen dürfte.

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